Samstag, 20. April 2024

Meine 16. Kalenderwoche 2024

"... eigentümlich ist, dass Rechtsextreme 
sich als letzte Verteidiger ihrer heiligen Nation wähnen, 
ihre Loyalität aber im Zweifelsfall bei 
deren selbst erklärten Feinden wie Wladimir Putin liegt."
.....
"Während der Liberalismus die 'kreative Zerstörung' 
durch freie Marktkräfte wünscht, 
schickt der Faschismus Schlägerkommandos, 
die johlend das Haus einreißen."
.....
"Wer sich derart in einen geistigen Bürgerkriegszustand 
hineinsteigert, will keine Rücksicht nehmen
 und braucht keine Kompromisse mehr. 
Oder wie Bahners* schreibt: 
'Die Partei ist ein Zockerclub, der alles auf eine, 
die allerletzte Karte setzt.'"
Nils Markwardt , Literatur- und Sozialwissenschaftler

Die Saison auf "meinem" Plätzchen ist eröffnet: Am Samstag habe ich mich nach der Erledigung meiner Alltagsgeschäfte selbst zum ersten Eiskaffee dort eingeladen. Immerhin zeigte das Thermometer an diesem 13. April über 25°C.


Da hab ich mir auch Lesezeit auf der Terrasse in der Sonne verordnet, denn für die nächsten Tage war eine Kaltfront & Aprilwetter vorhergesagt.

Nach diesem Müßiggang ( mir ist noch beigebracht worden, dass dies aller Laster Anfang ist ) habe ich meinen Terrassentisch abgeschliffen und geölt und die Luytens-Bank mit Grüner Seife abgeschrubbt.




Meine Blumenkästen im ersten Stock in Richtung Süden habe ich auch schon bepflanzt und mich von meiner Nachbarin A., der Ex-Floristin, inspirieren lassen, die in ihre Kästen Kräuter wie Petersilie oder Rosmarin zwischen die Blumen gesetzt hat. 
Es wird allerdings eine zunehmend anstrengende Aktion, die Erde auszutauschen, treppauf, treppab, alles zu transportieren und hinterher dann noch die Fußböden zu saugen. Und dann hatte ich auch noch den Fimmel, Flecken im Teppichboden zu entfernen. Puuh!




Dennoch war ich für die nächsten Tagen hochmotiviert, die Terrassenmöbel weiter zu bearbeiten. Aber das Wetter machte mir einen Strich durch die Rechnung: zu kalt ( am Dienstagvormittag 7°C ), zu nass, zu stürmisch. Das ist dann meinen Great-Women-Posts zugute gekommen: Auf meinem tollen Heizkissen sitzend habe ich gleich drei Posts fertiggestellt bzw. neu geschrieben, so dass ich jetzt bis Mitte Mai Ruhe habe. Mit so einem Aprilwetter habe ich nach den Aprilsommern der letzten Jahre und dem diesjährigen März gar nicht mehr gerechnet...

Den blauen Himmel am Donnerstagvormittag musste ich noch vor der Morgentoilette fotografisch festhalten. So aufmunternd für die Laune!


Was hat es in den ersten drei Tagen der Woche geregnet! Die Fensterputzer mussten immer wieder abgesagt werden. Allerdings blühen auch die ersten Rosen, wie diese "Schneewittchen". Und das im April!


Nach weiterem Schrubben & Schleifen meiner blöden Terrassenmöbel aus Teak und der Physiotherapie hab ich mich mal verwöhnt, aber im Haus. Auf der Terrasse hatte es nur 12°C.



Am Freitag war es dann auch schon wieder vorbei mit der Trockenheit, als ich bei 10°C zum Haareschneiden gegangen bin. Kälter als an Weihnachten...


Ich mach mir es mir unter solchen Bedingungen gern zu Hause schön...


Das war im Gegensatz zu den letzten Aprilwochen eine sehr ruhige, ereignisarme, diese 16.  Kalenderwoche! Aber für mich ganz in Ordnung, hatte ich so genug Zeit für Introspektion, Lesen, Schreiben, Radio- & Musikhören und Filmegucken. 

Kleine "Aufreger" waren die täglich mehrfachen Emails, die mich aufforderten: "Holen Sie sich Ihr ausgesetztes Paket", "Verifizieren sie ihre Anschrift", "Ihre Anschrift ist unvollständig", "Vereinbaren sie ihre Zustellug" usw. Meine Schwester erhielt gleichzeitig solche Aufforderungen per SMS aufs Smartphone. Da haben wohl mal wieder Spetzbove gehackte Emailadressen & Telefonnummern gekauft und versuchen einen auf gefährliche Pfade- sprich: Links - zu locken. Ich selbst informiere ich mich übrigens per täglicher Email von "Mimikama" über diese kriminellen Aktivitäten ( und Fakenews und mehr ), kann ich nur empfehlen. Auch wenn es traurig ist: Im Netz ist Misstrauen dringend erforderlich, auch wenn das so gar nicht meinem Charakter entspricht. Erlebt ihr auch so viele Versuche, euch übers Ohr zu hauen?

Wie meine einleitenden Zitate zeigen, beschäftigt mich die politische Entwicklung hierzulande nach wie vor täglich, wenn ich Zeit dafür habe. Dass wir eigentlich schon seit Anfang dieser Republik mit diesen Geistesströmungen zu tun, das aber geflissentlich ignoriert haben ( und die Blindheit auf dem rechten Auge bis heute immer noch gepflegt wird ), ist mir noch mal so richtig bewusst geworden angesichts einer Buchvorstellung:

Traudl Bünger, eine durchaus bekannte Kulturvermittlerin ( u.a. mit dem geschätzten Roger Willemsen ), hat ein Buch über ihren Vater Heinrich Bünger geschrieben, der als 27jähriger 1962 zusammen mit seinem Zwillingsbruder und zwei anderen u.a. einen Sprengstoffanschlag in der Gepäckaufbewahrung des Bahnhofes von Verona ausgeführt hat, bei dem ein Mensch stirbt und zahlreiche weitere verletzt werden. Damals solidarisierte sich die rechte Szene Deutschlands mit dem Kampf Südtirols um Unabhängigkeit von Italien. Und noch 2016, als Heinrich Bünger starb, kondolierte der Südtiroler Heimatbund und dankte für seinen "Einsatz". Und auch der behielt seine Überzeugung bis zu seinem Ende bei. Deshalb trägt das Buch auch den Titel "Eisernes Schweigen. Das Attentat meines Vaters. Eine deutsche Familiengeschichte".

Traudl Bünger recherchierte nicht nur die Hintergründe des Attentats, sondern stieß auch auf die nachlässige Umgangsweise der Justizbarkeit hinterher: Nachdem erstmal lange gar nichts passiert, wird Heinrich Bünger Ende der 1960er schließlich in Köln inhaftiert. Nach einem halben Jahr wird er mit Auflagen entlassen und dann doch noch 1980 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil hebt der Bundesgerichtshof aber am Ende wieder auf. Insgesamt zog sich das ganze Verfahren 18 Jahre hin.
"Rechtsterrorismus hat andere Opfer, andere Strukturen, oft keine Bekennerschreiben, keine Manifeste – sondern eine wesentlich größere Andockungsfläche an das bürgerliche Milieu. Menschen wie mein Vater und seine Unterstützer tauchen kurz aus dem bürgerlichen Milieu für eine Aktion auf – und dann wieder ab, bleiben aber fest vernetzt mit ihren Gesinnungsgenossen," so die Autorin.
In der ARD Mediathek kann man mehr dazu erfahren. Ein wohliges Gefühl kommt da nicht gerade auf... 

Schlechtes Wetter lässt den Medienkonsum bei mir steigen: So habe ich meinen Museumsbesuch in Düsseldorf von letzter Woche noch weiter "aufgearbeitet" und habe zwei Filme zu Hilma af Klint angeschaut: Die Doku "Jenseits des Sichtbaren" von Halina Dyrschka und das Biopic "Hilma – Alle Farben der Seele" von Lasse Hallström. Hat die Ausstellung, die mir nur so semi gefallen hat, sehr gut ergänzt und mir geholfen, Hilma af Klint ins Herz zu schließen.

Auch an diesem Wochenende steht bei mir nichts an. Ich würde gerne einen längeren Spaziergang zum Friedhof machen. Aber der Wetterbericht verheißt wieder nichts Gutes. Ich werde mir alleine ein Spargelgericht kochen. Zunächst setze ich mich aber an den Berliner Kaffeetisch bei Andrea Karminrot, verlinke mich mit dem Frühlingsglück der Gartenwonne, am Sonntag mit der Zitronenfalterin und am Montag mit Heidrun.

Haltet die Ohren steif! Auch dieser aprilige April geht vorüber...







* Patrick Bahners

Freitag, 19. April 2024

Friday - Flowerday #16/24


Ich freue mich immer wieder darauf, 
meine flamboyante fliederfarbene Vase aus dem Kellerregal zu holen,
nämlich dann, wenn sich der Flieder für die Vase schneiden lässt.

Diesmal habe ich den Blütenzweigen vanillegelbe Crispatulpen ...


... mit karminroten zarten Streifen zugesellt.


Die Zweige mit dem frischgrünen Magnolienlaub
habe ich schon zu Ostern geschnitten & in eine zweite Vase gestellt -
sie durften weiterhin bleiben.


Ich freue mich, dass uns noch die Zeit mit den schönsten Tulpenzüchtungen bevorsteht.


Der Anblick erfreut wieder einmal mein Herz
und
Duft, Farben & Textur meine Sinne.


Mit diesem Ensemble schicke ich 
allen Freund*innen der Freitagsblümchen
meine  💜lichen Frühlingsgrüße!

                                                         

Vielleicht habt ihr ja auch Flieder in der Vase.
Oder gibt es noch viele Tulpensträuße.
Hier könnt ihr alles verlinken:

You are invited to the Inlinkz link party!

Click here to enter

Donnerstag, 18. April 2024

Great Women #374: Maria Hagemeyer

In meiner großen Familie gibt es viele Talente, viele Berufe. Aber eine Sparte ist nie vertreten: die Juristerei. Mir selbst ist juristisches Denken oder gar Handeln völlig fremd. Umso mehr faszinieren mich Menschen, die das können. Deshalb sind in dieser, meiner Rubrik im Blog relativ viele Juristinnen vertreten wie Anita AugspurgRuth Bader -GinsburgFatou Bensouda, Carla del PonteJutta LimbachMaria OttoErna SchefflerElisabeth Selbert und Freda Wuesthoff. Heute dann also Maria Hagemeyer. 
 
Land- & Amtsgericht in Bonn vor dem Krieg

 "Die Fähigkeit zum Richteramte 
kann auch von Frauen erworben werden."
"Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege" vom  11.07.1922

Maria Johanna Hagemeyer  erblickt am 17. April 1896, also gestern vor 128 Jahren, in Bonn das Licht der Welt. Sie wird in eine bildungsbürgerliche rheinische Juristen- und Theologenfamilie hineingeboren. Der Vater ist selbst Jurist, die Mutter eine, die für ihre beiden Töchter eine gute schulische Bildung anstrebt. Die ermöglicht sie ihren Töchtern auch nach dem frühen Tod ihres Mannes. Maria besucht nicht nur die wie damals übliche höhere Mädchenschule, sondern legt auch das Abitur ab. Auf ihre Schulzeit schaut sie allerdings mit kritischem Blick zurück:

"In der Schule waren wir fürchterlich gezwiebelt worden, da war eine Disziplin, die war sagenhaft. Als Oberprimaner mussten wir noch immer zu zweit in einer Reihe gehen, schweigend." (Quelle hier)

( Ich hätte zu gerne herausbekommen, welche Bonner Schule das gewesen ist, die Maria besucht hat, denn ich habe selbst dort in der Stadt meine Gymnasialzeit in einer Privatschule verbracht und die Regeln  waren auch nach dem 2. Weltkrieg noch ähnlich rigide. Inzwischen läuft der Unterricht in diesem Institut übrigens bis 2029 aus, auf Veranlassung des Erzbistums. )

Maria zieht aus dem erfahrenen Drill & der Gängelung ihre ganz persönlichen Schlussfolgerungen:

"Da habe ich gedacht, das hältst Du im Leben nicht durch, und der Richter ist nur seinem Gewissen und dem Gesetz verpflichtet, und da habe ich gedacht, dass mir das gefallen würde."

Blick auf das Neutor und den Kaiserplatz in Bonn,
rechts die Universität
mit dem davor platzierten Kaiserdenkmal
Das Mädchen hat wohl Einblick in den Richterberuf durch seinen Vater gewonnen. Sie lässt sich auch nicht von dem Gerede - "Frauen taugen zu Richtern nicht, die werden vom Gefühl gelenkt nicht von der Logik"- irritieren & abhalten und schreibt sich 1916 an der Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität für Jura ein, obwohl ihr ihre Lehrerin davon abgeraten hat, denn Frauen werden zu dieser Zeit zum Examen noch nicht zugelassen. 

Das ist dann erst ab 1919 möglich. Angesichts hoher Studiengebühren und schlechter Berufsaussichten entscheiden sich damals verhältnismäßig wenige Frauen für ein Jurastudium. Da kommt es Maria zugute, dass ihre Familie wohl situiert ist. Insgesamt ist daher die Gruppe der ersten Jurastudentinnen klein und homogen, weil erwartbar ist, dass die Familie materielle Unterstützung leisten muss. Ein Vorteil ist allerdings, dass während des Krieges viele Studenten an der Front sind und weibliche Studierende nun in der Überzahl in den Lehrveranstaltungen Platz finden.

1919 beginnt Maria mit dem Abfassen ihrer Doktorarbeit, denn sie sieht für sich berufliche Möglichkeiten, nachdem Frauen in der Weimarer Republik zum Referendarexamen zugelassen werden. Ihr Studium bzw. die Promotion schließt sie 1922 mit Bestnote an der Universität Bonn ab. Auch im anschließenden Referendariat legt sie herausragende juristische Fähigkeiten und entsprechende Leistungen an den Tag. Sie wird zunächst als Assessorin im preußischen Ministerium für Justiz eingesetzt. 

1927
Am 11. Juli 1922 wird das "Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege" mit Stimmenmehrheit der Sozialdemokraten und auf Druck der Frauenverbände beschlossen. Zuvor hat ein Meinungsstreit getobt, hat man doch einen Autoritätsverlust der Gerichte befürchtet, wenn nun auch Frauen die Richterrobe tragen dürfen. Aber auch Sorgen über eine wachsende Konkurrenz durch Juristinnen und die Verletzung des "deutschen Mannesgefühls" werden ins Feld geführt, um eine Veränderung des Status quo zu verhindern.

Aber erst 1927 ist es dann so weit: Maria ist 31 Jahre alt, als sie als erste Frau in Preußen zur Amts- und Landgerichtsrätin in Bonn ernannt wird. Als sie ihre Stelle am Bonner Gericht antritt, stehen die Pressefotografen Schlange: "Dieser Richter ist jung und anmutig und hat nichts von steifer Amtswürde", kommentiert ein Journalist in seiner Zeitung ihren Auftritt. "Ich habe noch nie einen gesehen, der sich so über seine Richterstelle gefreut hat wie Dr. Hagemeyer", meint ein erstaunter Staatssekretär im Reichsjustizministerium. 

Sie ist die jüngste Kollegin an den Gerichten dieser Tage. Die medialen Reaktionen sind alle positiv. In anonymen Briefen wird Maria hingegen "fürchterlich beschimpft... Was die Weiber überhaupt in der Justiz wollten." Sie ist freilich darauf gefasst, dass sie als Frau Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn sie auf der Richterbank sitzt. Zum Glück erfährt sie keine Ablehnung im Verlauf der von ihr geführten Prozesse.

Maria ist hauptsächlich mit Familienstreitigkeiten beschäftigt. Selbst eine Familie zu gründen, kommt für sie selbst nicht in Frage, denn für Frauen im Öffentlichen Dienst gilt die Zölibatsklausel: Wer heiratet, wird entlassen. Diese Auskunft bekommt sie auch später noch von ihren Vorgesetzten, darauf würde man nicht verzichten.

Die erste Phase der Öffnung der juristischen Berufe für Frauen hält jedoch nur gut zehn Jahre an: 

Während der Nazidiktatur werden Frauen wieder zurück in die Hausfrauen- und Mutterrolle gedrängt. Ab 1935 dürfen Assessorinnen nicht mehr in die Richter- und Staatsanwaltslaufbahn übernommen werden. Bald darauf wird ihnen auch eine Karriere als Anwältin versperrt. 

(ohne Jahr)
Maria Hagemeyer selbst bekommt Schwierigkeiten mit ihrem neuen Landgerichtspräsidenten, der natürlich ein Parteigenosse ist, denn die neue Staatsführung sucht ihren Einfluss insbesondere auch auf laufende Prozesse zu gewinnen. Maria setzt sich zur Wehr und besteht auf einem Beschluss des Präsidiums, als sie ans Amtsgericht versetzt werden soll, um sie dort - abgeschirmt von der Öffentlichkeit, denn eine Frau gehöre nicht auf die Richterbank, so die Nazi-Ideologie - mit Grundbuchsachen zu beschäftigen. Auch Kollegen setzen sich für sie ein, und sie kann in ihrer Position als Richterin bleiben, während andere nichtjüdische Kolleginnen zum Teil auf weniger öffentlichkeitswirksamen Stellen tätig sein müssen. Ihre jüdischen Kolleginnen– so auch u.a. Erna Scheffler – werden vollständig aus ihren Berufen entfernt.

Von der Unrechtsprechung des Nazi-Regimes ausgeschlossen, gelingt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vielen Juristinnen ein schneller Wiedereinstieg in ihren früheren Beruf - so auch Maria Hagemeyer. 

Nach der Entlastung durch den Haupt-Entnazifizierungsausschuss in Bonn wird sie 1950 für drei Jahre als Familienrechtsexpertin als Referatsleiterin in das Bundesjustizministerium in Bonn berufen. Am 1. Januar 1953 kehrt sie als Landgerichtsdirektorin im Gerichtsbezirk Köln an das Landgericht Bonn zurück - und leitet dort bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand im Jahr 1958 eine Zivilkammer. Sie ist die erste und für zehn Jahre einzige Frau in NRW, die Studenten & Referendaren in Düsseldorf und Köln die Prüfung abnehmen darf.

Während ihrer Zeit im Justizministerium verfasst sie eine Denkschrift mit ihren Vorschlägen zur Veränderung des Familienrechtes. Maria schlägt vor, dass alle ehelichen Belange von den Ehegatten gemeinsam getroffen werden. Sie lässt keinen Zweifel daran, was die Stunde in der neugegründeten Bundesrepublik geschlagen hat: Die Bestimmungen des Rechtsverhältnisses zwischen Mann und Frau zeigen den "patriarchalischen Charakter" des ihnen zugrundeliegenden Ehebildes, welches im alten Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgeschrieben worden ist. Nachdem der kurze, kompromisslose Satz - "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" - durch den Einsatz von Elisabeth Selbert und Frieda Nadig seinen Weg ins Grundgesetz gefunden hat, muss jetzt das alte, seit 1896 geltende Familienrecht diesem Gleichheitsgrundsatz angepasst werden, und zwar bis zum 31. März 1953.

Für die Umsetzung sorgen zu müssen, bereitet selbst Marias vorgesetztem Minister Unbehagen: Es ist Thomas Dehler, Altersgenosse von Maria, republiktreuer Rechtsanwalt, im "Dritten Reich" als "Judengenosse" diffamiert, nach 1945 Generalstaatsanwalt und Generalankläger für Entnazifizierung, der auch aus seiner Abneigung gegen kirchliche Einflussnahmen auf die Gesetzgebung  keinen Hehl macht.

Die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer ist absolut nicht begeistert von der Vorstellung, mit dieser Gleichberechtigung Ernst zu machen. Am Juli 1952 knöpft sich Adenauer daher seinen Minister Dehler unter vier Augen vor. Der bleibt bei der folgenden Kabinettssitzung zunächst noch bei seiner Sicht: Das Alleinentscheidungsrecht des Mannes sei mit der Verfassung "künftig nicht vereinbar".

Das gesteht dem Mann nämlich zu, "in allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheitendas letzte Wort zu haben (§ 1354). Wenn er also nach Köln ziehen will, dann wird nach Köln gezogen. Die Frau liefert einen Scheidungsgrund, wenn sie nicht mitmacht & verwirkt damit auch ihr Recht auf Unterhalt. §1356 dann regelt die Haushaltsführung und untersagt der Ehefrau das Recht auf eigenständige Berufstätigkeit. §1363 bestimmt, dass nach der Heirat das gesamte Vermögen der Frau "der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen" ist. 
Dazu kommt noch die Regelung zur "Schlüsselgewalt", mit der einer Ehefrau die Schlüssel für die gemeinsame Wohnung  genommen und das Haushaltsgeld gestrichen werden kann. Last, but not least die "Elterliche Gewalt", die allein der Mann hat: Er entscheidet über Namen, Konfession und Schule der Kinder. Er kann verbieten, dass die Tochter studiert, wenn sie doch eine Lehre machen könnte. Selbst bei lebensbedrohlichen Situationen "mussten Ärzte nicht auf die händeringende Mutter hören und operieren, sondern erst den Vater erreichen." Das "Sorgerechtfür ihre Kinder verliert eine verwitwete oder geschiedene Mutter, wenn sie sich neu verheiratet, ein Witwer oder geschiedener Mann natürlich nicht.

Es beginnt ein wahrer Feldzug gegen die Gleichstellung, habe der Mann und Vater doch "die Verantwortung als Haupt der Ehefrau und der Familie". Wer das leugne, "stellt sich in Gegensatz zum Evangelium und zur Lehre der Kirche", empören sich die deutschen Erzbischöfe und Bischöfe am 6. Februar 1953 in einem Hirtenwort zum geplanten neuen Familienrecht. Es solle alles getan werden, um die Frau für ihre "höchste und schönste Aufgabe" zu erhalten. "Die Ordnung der Hausgemeinschaft muss unangetastet bleiben", fordert die Deutsche Bischofskonferenz unter Leitung des in Köln sonst verklärten Kardinals Josef Frings. "Da sie durch eine höhere als menschliche, nämlich die göttliche Autorität und Weisheit festgesetzt ist und darum keiner Änderung durch Staatsgesetze unterliegen kann."

Auch im Bundestag gibt es lange Debatten. Selbst Minister Dehler lässt jetzt patriarchalischen Ansätze im Entwurf zu und redet sie schön.

Dadurch verstreicht die vorgegebene Frist: Nach 1953 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland zunächst kein gültiges Familienrecht.  Unter der Ägide der Verfassungsrichterin Erna Scheffler ermuntern die Mitglieder dieses Gerichtes die Richter, das Gleichberechtigungsgebot zunächst ohne Gesetz selbst durchzusetzen - in "schöpferischer" Rechtsprechung. 

Am 3. Mai 1957 geht die Gesetzesänderung im Bundestag dann in die zweite und dritte Lesung. In der Schlussabstimmung wird das Gesetz einstimmig angenommen – oder wie es Bundestagsvizepräsident Dr. Richard Jaeger ausgedrückt hat: "Meine Damen und Herren, damit hat der Deutsche Bundestag eines seiner bedeutsamsten Gesetzgebungswerke in der Realisierung des Grundgesetzes abgeschlossen." Am 18. Juni 1957 wird es endlich verkündet und tritt zum 1. Juli 1958 in Kraft – mit gut fünf Jahren Verzug.

1991
Als das Gesetz wirksam wird, ist auch das sogenannte Letztentscheidungsrecht abgeschafft - nur nicht bei der Kindererziehung und dem Sorgerecht. Zwei Jahre später kippt das Bundesverfassungsgericht jedoch auch diese Ausnahmen. Auf die nächste große Reform des Ehe- und Familienrechts - 1977 - müssen die bundesrepublikanischen Frauen dann zwanzig weitere Jahre warten.

Maria Hagemeyer ist schon in der Nachkriegszeit viel gereist, hat sich bei der UN und beim Supreme Court über Familienrechtsfragen informiert. Nach ihrer Pensionierung ist sie unter anderem als Beraterin für Gleichberechtigungsfragen für die Vereinten Nationen in New York tätig, verfolgt die juristische Fachliteratur und schreibt noch eigene Beiträge. Wie sie ihre letzten Jahre verbringt, habe ich nicht in Erfahrung bringen können.

Ihren 95. Geburtstag feiert die rüstig wirkende Juristin noch in aller Öffentlichkeit. Am 1. Dezember 1991 stirbt die Pionierin in Sachen Gleichberechtigung in ihrer Geburtsstadt und sie, die in den 1950er Jahren in die Schlagzeilen geraten war, wird in aller Stille auf dem ( schönen ) Bonner Südfriedhof zu Grabe getragen. 

Ich finde, wir Frauen sollten auf ihren Geburtstag anstoßen und uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, wer was für unsere Rechte erreicht hat, besonders heute, in diesen aktuellen Zeiten, in denen wieder ein Flashback droht, ein von konservativen Kreisen gerne befeuerter Kulturkampf stattfindet. Unsere Errungenschaften sind jung, sehr jung, verglichen mit den tausenden Jahren einseitiger Männerherrschaft und offensichtlich nicht in Stein gemeißelt. Da gibt es genug, die das Rad wieder zurückdrehen möchten. Von ausstehenden notwendigen Verbesserungen mal ganz abgesehen.